Rocko mein Partner, mein Beschützer, mein Lehrmeister

In diesem Beitrag geht es nicht um mich als Hundetrainer, sondern als einfache Hundemama. Meine Geschichte, meine Gefühle und mein Leben und Abschied nehmen mit Rocko. Es ist ein persönlicher Beitrag aus dem der Leser hinterher keine Erkenntnisse über Hundetraining mitnehmen kann, aber vielleicht danach einen schönen Tag mit seinem Hund genießt ohne nach seinen Fehlern zu suchen sondern zu feiern, dass ihr zusammen sein dürft.

Mein Leben mit Rocko

Der naive Traum vom eigenen Hund

Der eigene Hund, seit ich denken kann mein größter Traum. So packte ich vor 11 Jahren den Mut mein Leben umzukrempeln, für die romantische Wunschvorstellung „eigener Hund“. Nachdem mein Chef eher nicht von einem Bürohund träumte, wagte ich mich dafür in die Selbständigkeit. Kann ja nichts schief gehen, mit einem treuen Begleiter an der Seite ist auch das machbar. 

Im Vorfeld, wie im weiteren Prozess, war da erst mal pragmatische Naivität mein Leitbild. Man hat ja auch schon Jahrzehnte seinen imaginären Hund überall dabei gehabt. Da weiss man ja was auf einen zu kommt.

Geträumt – getan! Job gekündigt, Gewerbe angemeldet, jetzt noch den passenden Hund suchen. 

Beim scrollen im Internet durch Hunde-Vermittlungsportale war da dann Bronko. Ein großer Hund, 4,5 Jahre, breiter Schädel. Genau das waren meine im Vorfeld zurechtgelegten Kriterien. Groß und sportlich muss er sein, dass ich auch auch mal Wandern gehen kann. Aus dem Flegelalter soll er raus sein, dass ich bei der Erziehung nichts mehr falsch machen kann. Und wenns schon kein Molosser werden soll, da zu viele davon auf diskutierbaren Listen stehen, dann wenigstens ein breiter Kopf. 

Rockos erster Tag bei mir

Pragmatisch naiv bin ich also zu einem Kennenlernen zum Gnadenhof gefahren.

Zu diesem Zeitpunkt war Rocko bereits einer anderen Dame versprochen. Hingefahren bin ich trotzdem, weil ich das ja so geplant hatte und es gab da ja noch andere Hunde. Also ging ich Gassi mit einem 3-Bein-Spitz. Aber nach dem Gassi hab ich entschieden, dass der Funke nicht übergesprungen ist. Und weil ich wegen Rocko da war, hat die Betreuerin von Rocko entschieden, dass ich ihm trotzdem begegnen darf. 

Der wilde Rabauke kam also aus seinem Zwinger und raste wie ein Tornado übers Gelände, entdeckte mich und – zumindest in meiner Erinnerung – stand die Welt kurz still. Er kam her, ich ging in die Hocke und wir nahmen Kontakt auf. Die Betreuerin sah uns zu. Und als ich gehen wollte sagte sie: „Hast du nochmal Zeit zu kommen. Das mit euch beiden sah so viel besser aus als mit der anderen Anwärterin“. So wurde Bronko zu Rocko und mein Hund, der einen Monat später bei mir einzog.

Rockos Lehre vom: Hier und Jetzt

Während ich noch im Traumland unterwegs war, hat Rocko im „hier und jetzt“ die Kontrolle über sein (und mein) Leben ergriffen. Schnell war der Traum zerstört, die Realität begann. Um das Ende vorweg zu nehmen: Die Realität mit einem Hund ist viel besser und schöner und wertvoller, als der Traum vom Hund! Aber ein Seelenhund ist kein Geschenk, sondern ein Prozess und auch Arbeit. Arbeit an der Beziehung, Arbeit am Hund und vorallem Arbeit an einem selber.

Von wegen „Futterbeutel“ und alle anderen Interessen sind vergessen. Von wegen „Click und benennen“ und schon kapiert der Hund was ich von ihm will und bleibt cool. Von wegen „sitz“, „platz“, „fuss“ und wir schlendern entspannt durch Stadt und Land. Mein leinenaggressiver Macho, der auch ohne Leine seinem Motto treu blieb, hat mir so viel mehr beigebracht, als ich mir jemals vorstellen konnte. Keine Trainingsanleitung und kein Buch und kein „Scott & Huutsch“ kann dir so viel vom echten Leben, vom Mensch sein, vom Hund sein, vom Leben im Moment beibringen, wie es dein Hund kann. 

Schon von Beginn an, hab ich mir immer schwer damit getan Rocko als „meinen Hund“ zu betiteln. Rocko hat sich immer selber gehört. „Wir leben zusammen und er findet es gut mit mir sein Leben zu teilen.“, so hab ich das vor 10 Jahren erklärt und so sehe ich das auch heute noch. Natürlich ist Rocko „mein Hund“, aber schon bei der Vermittlung hat Rocko mitentschieden, dass wir beide wohl zusammen gehören. Ich brauche Rocko mindestens genauso sehr, wie Rocko mich braucht. 

Über die Jahre musste Rocko so einige Pauschal-Erziehungskonzepte über sich ergehen lassen, doch Rocko ist sich einfach treu geblieben. Geduldig hat er sein Ding durchgezogen um mir zu lehren, dass sich auch der Mensch anpassen und verändern muss. In seiner Treue und Sorglosigkeit über das morgen, hat er mir immer wieder die Chance gegeben ihn besser kennenzulernen und zu verstehen. Ich bin diesem stolzen und weisen Hund so dankbar dafür. 

Perspektivenwechsel

Rocko hat sich in unserer gemeinsamen Zeit eigentlich kaum verändert. Trotzdem hat er sich in meinen Augen verwandelt. Er findet beispielsweise andere Hunde auch heute noch unnötig und lässt diese das auch wissen. Was sich verwandelt hat ist, wie wir damit umgehen und wie ich darauf blicke. Was ich zu Beginn verändern wollte, musste ich lernen zu verstehen. Rocko ist eine Persönlichkeit, die eben nicht einfach nur jedem Gefallen möchte. Er setzt lieber auf seinen Berserker-Charme und wickelt damit immer wieder Hund und Mensch um den Finger. Er ist stolz und guckt sich genau an, wem er sich anvertraut oder für wen er die Entscheidungen trifft.


Shooting mit Rocko und Lilo 2019 ©sensiebelfotografie

Rocko kann „nein“ sagen, Rocko kann sich für seine Interessen einsetzen, Rocko setzt sich aber auch für seine Gruppe ein. Durch all diese Eigenschaften, durfte und musste ich mich verwandeln. Ich musste zu einem Begleiter für Rocko werden, der ihm die Konsequenzen seines Verantwortungsgefühls abnehmen kann. Das zu lernen hat unsere Beziehung sehr vertieft. Wir wurden zu einem Team, bei dem sich jeder auf den anderen verlassen kann. Sind wir an der Leine an einem anderen angeleinten Hund vorbei gegangen, hat er immer öfter meiner Entscheidung vertraut, dass es wohl reicht einen Bogen zu laufen, anstatt zu eskalieren. Ich konnte mich aber auch darauf verlassen, dass er sich von keinem Hund anpöbeln lässt und seine ausgemachten Erzfeinde hat, bei denen er bis zum Schluss das letzte Wort haben wollte. In einer anderen Situation vertraute ich ihm, dass er die Gruppe besser beschützen kann als ich. So ergab sich eine Szene, als ich mit 5 weiteren Hunden unterwegs war, die ich selber nicht so souverän hätte lösen können wie Rocko es konnte. Aus 100 m Entfernung stürmte ein freilaufender Jüngling wie ein Pfeil in unsere Richtung. Ich sortierte Rockos Leine aus und schickte ihn mit den Worten: „Kümmer dich“ an die Front. 50 m vor uns bremste er den jungen Rüden aus und schickte ihn mit ruhiger Präsenz wieder in die andere Richtung. So bewahrte Rocko mich und die Hundegruppe vor einem sehr wahrscheinlich nicht so friedlichen Zusammenprall. 

Rocko hat einen gesunden Stolz und einen unbiegsamen Charakter. Auch wenn er im ersten Moment sich unnahbar bis konfrontativ zeigt, ist er ein nachsichtiger und herzlicher Hund, aber man muss sich seinen Respekt verdienen. Er gehört eben niemandem, aber er ist ein verlässlicher Partner, der jeden Weg mit mir gegangen ist. 

Der Meister der Anpassung

Rocko ist jetzt 14,75 Jahre (in dem Alter nimmt man es genauer), für einen Schäfi-Mix ein stolzes Alter. Seine Organe halten sich stabil, seine kognitiven Fähigkeiten sind noch voll da, sehen und hören geht schlechter – oder er will eben vieles nicht mehr hören oder sehen – aber es funktioniert noch. Nur sein Bewegungsapparat ist am Versagen und wird von Arthrosen an allen Ecken und Enden niedergekämpft. 

Viele Dinge haben sich in den letzten 4 Jahren verändert. Und wieder ist die Realität anders als was ich mir im Vorhinein dazu ausgedacht hatte. In jedem neuen Kapitel mit Rocko überrascht mich seine Anpassungsfähigkeit und seine innere Stärke. Als er mit 10 Jahren die Diagnose bekommen hat, dass er Arthrose in den Knien hat, hab ich gedanklich angefangen mich auf den Abschied vorzubereiten. Für mich war klar, dass wenn er nicht mehr alleine aufstehen kann, er seinen Lebenswillen verlieren würde. Wie soll ein mächtiger Kerle wie Rocko mit diesem Verlust an Würde klarkommen können. Durch Wasserlaufband, Nahrungszusätze für die Gelenke, Dauerschmerzmittel und Physiobehandlungen hat Rocko genug Zeit gehabt sich Schritt für Schritt an die neuen Umstände anzupassen. Jede neue Verschlechterung seines Zustandes hat mich mehr Zeit und Kraft gekostet zu akzeptieren als ihn. 

Die ganze Familie zwei Tage vor unserem Abschied. Rocko, Lilo & Stitch

In den letzten 4 Jahren war ich immer wieder an dem Punkt, an dem ich in einer Mischung vor Selbstmitleid und Mitleid weinend mit ihm Gassi gelaufen bin. War in meinen Abschieds-Gedanken gefangen, aber nur ein Blick auf Rocko und er hat mich mal wieder zurück ins „Hier und Jetzt“ gezogen. Er hat kein Problem damit, dass sich Dinge verändern. Er schlendert den Wegrand entlang, untersucht die Notizen der Nachbarshunde und auch wenn er das Bein nicht mehr heben kann, schafft Rocko es auch auf 4 Pfoten stehend sein Kommentar dazu zu schreiben. 

Seit einem knappen Jahr kann er nicht mehr alleine aufstehen. Auch dafür hat er seine Lösung gefunden. Er ruft nach mir, fiepend oder bellend, bis ich mich zu ihm begebe. Es bricht ihm keinen Zacken aus der Krone nach Hilfe zu fragen. Im Gegenteil, er war schon immer ein Hund der gut darin war einen Menschen zu seinen Zwecken zu manipulieren. Also nutzt er jetzt seine neue Aufmerksamkeits-Strategie nicht nur dazu auf die Beine zu kommen, sondern dreht mir einfach seinen Bauch hin und befiehlt mir diesen zu kraulen. Und wenn er mal eine Kurve zu eng nimmt und ihn dabei seine Standhaftigkeit verlässt, kann er so elegant in die liegende Position gleiten, dass es einfach aussieht als wäre es gewollt. 

Auch dachte ich, dass ich mit meinen ständig wechselnden Gasthunde ihm Lebensenergie raube. Rocko macht genau das Gegenteil daraus. Auch liegend kann man die Jünglinge noch bewegen, man muss sich nur einen strategisch guten Platz wählen und schon kann man liegend alles Bewegen. Ich habe das Gefühl, dass ihn die Aufgabe als Gast-Opi im Kopf jung hält und ihm der Job als Grummel-Opa Lebensenergie auffüllt.

Bonuszeit

Einen alten Hund zu begleiten ist nicht immer leicht. Es bedeutet, dass man auf vieles verzichten und sich immer wieder anpassen muss. Alte Hunde haben Mundgeruch und verlieren mehr Haare, dazu kosten sie auch mehr durch die ganzen Mittelchen und vermehrten Tierarztbesuche. Auch wenn mich sein fiepen, das mittlerweile auch regelmäßig nachts zwischen 2 und 5 Uhr vorkommt, zermürbt. Das alles trage ich mit Freude und Liebe. Wir sind in der Bonuszeit, jeder Tag ist so wertvoll. Ich bin mir bewusst, wie groß mein Glück ist immer noch jeden morgen in seine weisen aber immer noch neugierigen Augen blicken zu können. Es ist manchmal auch schwer das, wirklich täglich präsent zu haben und man verliert sich wieder in Selbstverständlichkeit, vergisst wie wertvoll diese Bonuszeit ist. Rocko nimmt mir das aber nicht krumm, dann fiept er halt einfach wieder öfter, zieht mich erneut ins „Hier und Jetzt“ und schenkt mir einen weiteren gemeinsamen Tag. 

Mein Lehrer, mein Beschützer, mein Partner, mein Hund!

Mein letzter Tag mit Rocko

Unser letztes Shooting 2021 mit Sensiebel Fotografie

Der Text bis zu dieser Stelle entstand vor ca einem viertel Jahr. In der Zwischenzeit hatten wir noch viele wundervolle Bonusmomente. Heute ist Tag X, ich werde in ca. 2 Stunden Rocko auf seine letzte Reise schicken. 

Seine Schmerzen in den Gelenken kosten ihn mittlerweile zu viel Kraft, als dass er noch Kapazitäten übrig hätte neue Strategien zu erfinden, die seine Lebensqualität hoch halten. 

Rocko als mein Partner ist mein Symbol für „Stärke“. All die Stärke, die er mir geschenkt hat, gebe ich ihm heute zurück. Er stellt mir seine Abschlussprüfung.

Als ich vor einer Woche entschieden habe, dass Rocko in Würde gehen darf, waren wir an einem Punkt an dem er sehr müde war und oft nicht mehr aufstehen wollte. Trotz Schmerztherapie, die am Limit läuft zeigt er viele Anzeichen dafür, dass er trotzdem mit Schmerzen durch den Tag geht. Dann sprechen die Leute immer von so einem „Leuchten in den Augen“, ob dieses noch da wäre. Damit konnte ich nie etwas anfangen. Jetzt weiss ich was das ist, ohne es beschreiben zu können. Sein leuchten in den Augen ist verschwunden. 

Ich habe für ihn entschieden: Er muss sich nicht mehr durch den Alltag schleppen. Das einzige was ich ihm noch geben kann ist, in den letzten Tagen bei ihm zu sein. Ich habe meinen Frieden mit der Entscheidung und fühle innere Ruhe dabei. Was danach kommt, das Leben ohne Rocko ist davon noch komplett separiert. Ich werde stark sein so lange Rocko da ist. Mit ihm im „Hier und Jetzt“ die Momente, in denen sich unsere Augen treffen, genießen. 

Doch selbst in seinen letzten Tagen bleibt Rocko sich weiter treu. Er macht es mir nicht leicht. Die 24 Stunden Betreuung, die ich ihm seit der Entscheidung schenken darf, da ich den Luxus habe, spontanen „Sonderurlaub“ beantragen zu können, hat ihm nochmal kraftvolle Tage geschenkt. An dieser Stelle von Herzen DANKE an meine Kunden, die durch ihr Verständnis mir diese Situation leichter gemacht haben. Jetzt ist die Lage also wieder anders. Er ist wieder etwas wacher und freut sich über die Besucher, die zum Abschied nehmen gekommen sind. Rocko nimmt mir die Entscheidung nicht ab, sondern lässt mich einen weiteren Prozess starten: Darf ich meinen Partner gehen lassen, obwohl wir noch Tage oder sogar Wochen hätten, in denen ich in sein Fell greifen kann. Meine Abschlussprüfung hat es in sich. Ich durfte in den letzten Tagen nochmal dazu lernen. Ja! Rocko darf genau jetzt gehen. Er hat mir zum Abschied kraftvolle gute Tage geschenkt. Und auch die Erkenntnis, dass die Alternative zum „jetzt gehen lassen“ ist: „Warten bis er in Todesqualen dahinschwindet“. Rocko darf gehen. Rocko darf zur Ruhe kommen. Rocko darf zum Abschied schöne Tage haben. 

Ausruhen für seinen Ritt auf dem Regenbogen

Ich hab die Zeit hier diesen Text zu schreiben, weil Rocko sich nochmal ausruht. Die Nase in der Sonne, den Liegekontrollplatz im Gang mit Blick zur geöffneten Haustüre. Wir hatten einen schönen Tag mit mehr Gassi als Rocko eigentlich noch kann. Mit einem Futternapf gefüllt mit Nassfutter und Käse und das erste mal seit Jahren ohne Tablette oder Nahrungszusätze. Mit mehr Aufmerksamkeit und Kuscheleinheiten als Rocko es recht ist. 

Heute ist er noch da! Es war kein letztes Abendessen oder letzter Spaziergang oder was auch immer. Es war im „HIER UND JETZT“ ganz einfach schöne Momente mit ihm. Morgen ist dann wohl Tag Y. Aber Tag X ist das, was bleibt und was Rocko mir und ich ihm schenken durfte und wir teilen durften.

Das erste Gassi an Tag Y